Ausgerechnet mit Verweis auf Meinungsfreiheit
und Demokratie rechtfertigt die Bundesregierung Auftritte türkischer Minister.
Kein Wort zur Hatz auf die HDP.
Dürfen
der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seine Minister der
islamistischen AKP-Regierung Wahlkampf in Deutschland machen für ein Referendum
in der Türkei zur Einführung einer Präsidialdiktatur?
Dürfen
die Feinde der Demokratie unter den 1,4 Millionen Wahlberechtigten mit
türkischem Pass in Deutschland für ein „Ja“ werben, während die Vorsitzenden
der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker HDP, Selahattin Demirtas und
Figen Yüksekdag, mit absurden Terrorvorwürfen im Gefängnis sitzen statt auf
Wahlkampfveranstaltungen für ein „Nein“ werben zu können?
Widerspruch
aus Deutschland mit konkreten Konsequenzen – das ist neu für Erdogan und Co.
Harsch waren die Reaktionen aus Ankara denn auch auf die Auftrittsverbote. Eine
Einschränkung der Meinungsfreiheit, „systematische Repression“ und
„Nazi-Methoden“ in Deutschland beklagten lautstark ausgerechnet diejenigen, die
mit eben diesen in der Türkei ein Klima der Angst schaffen, eine Hexenjagd auf
Andersdenkende veranstalten, linke Oppositionspolitiker – „Kanalratten“, wie
sie Justizminister Nihat Zeybekci zu nennen pflegt – zu Tausenden einsperren
und kritische Journalisten als „Terroristen“ verfolgen.
Die
Bundesregierung nannte den Nazivergleich aus Ankara „unerträglich“, „infam“ und
„absurd“ und verkündete gleichzeitig, sie denke nicht daran, Erdogans Hetzern
Auftritte in Deutschland zu verbieten. Mit Verweis auf Meinungsfreiheit und
Demokratie und die doch eigentlich guten deutsch-türkischen Beziehungen setzten
sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr schwarz-rotes Kabinett für weitere
Propagandaveranstaltungen der AKP ein. Kein Wort zu den unfairen Bedingungen in
der Türkei, die durch die Ministertour in Deutschland verstärkt werden.
Die
Redefreiheit für Erdogan und seine Regierungswahlkämpfer in Deutschland sei
„Beihilfe zur Ausschaltung von Grundrechten und zur Freiheitsberaubung von
echten oder angeblichen Erdogan-Gegnern“, kritisierte Heribert Prantl in der
Süddeutschen Zeitung am 6. März das Kuschen im Kanzleramt. „Es geht nicht mehr
nur darum, dass da ein Redner fragwürdige Ansichten vertritt. Es geht darum,
dass dieser Redner seine Macht dazu genutzt hat, Menschen zu malträtieren – und
das noch weiter forcieren und auch auf deutschem Boden propagieren will. Das
ändert alles.
Es wäre
sonderbar, wenn Deutschland einerseits gegen die Verhaftung des Journalisten
Deniz Yücel protestiert und es andererseits zulässt, dass der Verhaftende in
Deutschland öffentlich für diese Verhaftung wirbt.“
„Wir
stehen unter großem Druck“, sagte die HDP-Abgeordnete Filiz Kerestecioglu beim
offiziellen Start der Kampagne für ein „Nein“ zur Einführung des
Präsidialregimes am 3. März in Istanbul, Izmir und Diyarbakir. Tatsächlich
finden durch die Schließung zahlreicher oppositioneller Zeitungen und
Fernsehkanäle die Gegner Erdogans kein Gehör in den Medien. Nicht einmal
Infostände des „Nein“-Lagers sind erlaubt.
Tausende
HDP-Mitglieder sind in Untersuchungshaft. In den kurdischen Gebieten im
Südosten des Landes hat die türkische Armee eine Großoffensive gestartet und
mehrere Dörfer von der Außenwelt abgeriegelt.
Es ist
die gleiche Bundesregierung, die meint, mit den AKP-Propagandaauftritten die
Meinungsfreiheit in Deutschland zu verteidigen, die die Türkei im vergangenen
Jahr von Platz 25 auf Platz 8 der Empfängerländer deutscher Waffenexporte
befördert hat und zu Erdogans Krieg gegen die Kurden schweigt.
Von Rüdiger Göbel
aus „UZ – unsere zeit – Zeitung der DKP“ vom 10. März 2017
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