Sonntag, 22. Januar 2017

Zweierlei Tünche

Foto: junge Welt
Proteste gegen Trump und Co.

Als Linker kommt man sich dieser Tage fehl am Platz vor. Wenn in Washington Angela Davis neben John Kerry gegen Donald Trump demonstriert, ist das schwer auszuhalten. Ebenso könnte es als Dschungelprüfung durchgehen, wenn Linke in Koblenz gegen das Treffen der europäischen »Rechtspopulisten« protestieren – und sich in einer Reihe mit Sigmar Gabriel und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wiederfinden.

Manche ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass der Gegner nicht mehr die Rechten sind. Weil Hillary Clinton eine üble Kriegstreiberin ist, müsse man Trump gut finden. Weil der SPD-Chef verlogen ist, habe die AfD doch irgendwie recht. Weil die EU ein geschäftsführender Ausschuss der Großkonzerne ist, müsse man auf Le Pen hoffen. Das ist dasselbe wie aus der Toilette zu löffeln, weil der Eintopf nicht schmeckt.

An so etwas wird vor allem die überall spürbare Schwäche der Linken sichtbar. Seit Jahrzehnten dominieren von Konzernen und etablierten Parteien kontrollierte Medien fast unwidersprochen den öffentlichen Diskurs. Der hat sich modernisiert – es wird auf die Wortwahl geachtet. Deshalb die laute Empörung, wenn Frauke Petry davon spricht, auf Flüchtlinge schießen lassen zu wollen – während gleichzeitig nichts dagegen unternommen wird, dass im vergangenen Jahr mehr als 5.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind und dieses Sterben weitergeht. Darum die Proteste dagegen, dass Trump »Obamacare« abschafft – und wenige Hinweise darauf, dass die Gesundheitsversicherung nie mehr war als eine »moderate Unterstützung für eine kleine Gruppe amerikanischer Bürger mit niedrigen Einkommen«, wie es sogar die New York Times im vergangenen Jahr formulierte.

Das transatlantische imperialistische System ist in der Krise. Global gewinnen neue Akteure an Einfluss, etwa Russland in Europa oder China in der Pazifikregion. Zugleich gelingt es der herrschenden Klasse in Nordamerika und Westeuropa immer weniger, überall die Kontrolle zu behalten. Doch die eigentlichen Gründe für diese Krise werden übertüncht. Kriege, Neoliberalismus und Ausbeutung werden nicht in Frage gestellt. Die Umweltzerstörung wird beklagt, doch diskutiert wird über kosmetische Scheinlösungen, durch die das Wirtschaften der Konzerne nicht angetastet wird.

Gleichzeitig läuft hinter und zunehmend vor den Kulissen ein Kampf innerhalb der herrschenden Klasse, wie man die eigene Macht wieder stabilisieren kann. Soll man sich weiter »modern« geben – oder will man »zurück« bis mindestens in die 50er Jahre? Beiden Seiten kommt es durchaus gelegen, wenn nur darüber gestritten wird, warum in Trumps Kabinett kein »Latino« sitzt oder ob ein Jugendlicher in der DDR den falschen Karriereweg eingeschlagen hat. Hauptsache, niemand stellt die ans Eingemachte gehenden Fragen. Denn beantworten könnte die weder die »moderne« noch die »reaktionäre« Rechte.

Von André Scheer


Madame Tussauds Trump, Foto: junge Welt
Würstchen im Lakaienzimmer

Was bedeutet Donald Trump? Er macht die Schweinereien selbst. Zwei kleine Bücher begrüßen den neuen US-Präsidenten

Marx bemerkt im »Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte«, dass sich die Geschichte sozusagen zweimal ereignet, einmal als Tragödie und einmal als Farce. Mittlerweile gibt es noch einen dritten Auftritt: als Schauerroman. In dieser Form der Geschichte spielt ein Untoter die Hauptrolle: Donald Trump, nun als 45. Präsident der Hauptmacht des weltumspannenden Kapitals.

Nahezu alles kann der Figur Trump zugeschrieben werden. Er ist nichts Halbes und nichts Ganzes, Symptom und Verfall des staatsmonopolistischen Kapitalismus in seiner spätimperialistischen Phase, alles und nichts zugleich und für dieses »Alles« auch noch die hervorragende Projektionsfläche. Sämtliche erträumten Sehnsüchte der Zukurzgekommenen wie der Selbstherrlichen gehen in ihn ein – und heraus kommt die einzige Enttäuschung, von der man freilich auch vorher schon hätte wissen können, nämlich dass im Kapitalismus Ausbeutung herrscht und die Kapitalbesitzer einen radikalisierten Klassenkampf von oben führen, der von unten mit Befriedungsgesten beantwortet wird.

Nun ist es in der gut zweihundertjährigen Geschichte des modernen Kapitalismus nichts Neues, wenn das politische Personal mit seinen Handlangern jeder Beschreibung spottet. Marx hatte für den sogenannten Volkskaiser Napoleon III. zwischen 1852 und 1870 nur die Bezeichnung »Würstchen« übrig, während Lenin im Sommer 1919 über die bürgerlichen Politiker und Publizisten mit sozialdemokratischer Fassade bemerkte, sie säßen mit Zylinder und weißen Handschuhen im Lakaienzimmer der Bourgeoisie und posaunten von dort aus ihre Vertröstungen Richtung Arbeiterklasse. Von politischer »Klasse« reden zu wollen wäre heute angesichts des regierenden Stumpfsinns in Europa und der westlichen Welt wohl eine endgültige Entweihung des Begriffs der Einzigartigkeit. Donald Trump, Spitze des Eisbergs und titanische Untiefe, dürfte daher so etwas wie der Ahnherr des Lakaientums sein, der von sich selber behauptet, ihm stünden Lakaien haufenweise zu, und sein Zimmer sei immerhin ein Turm.

Es ist sicher richtig, Trump als veritables Arschloch zu betrachten, wie es Aaron James in seiner amüsanten »Assholes«-Theorie getan hat. Danach ist Donald Trump der Prototyp eines Arschloches, da er sich erstens in den zwischenmenschlichen Beziehungen systematische Freiheiten herausnimmt, die unter normalen Umständen reguläre Sanktionen hervorrufen, weil er zweitens von einem tief verwurzelten und falsch verstandenen Vorrechtsempfinden motiviert wird, wonach ihm angeblich diese Freiheiten zustehen, und er drittens unempfänglich für die Einwände anderer Menschen ist. Für eine Regierungsführung bedeutet dies erstens, dass der von Trump schon verkündete Isolationismus die einzig mögliche Politikvariante darstellt, dass zweitens die America-first-Ideologie deren einzig mögliche Grundlage ist und dass drittens alle anderen Staaten der Erde die Beratungsresistenz der zukünftigen US-Politik in ihre Berechnungen mit einpreisen müssen.

Richtig dürfte auch die Beobachtung von Georg Seeßlen sein, dass Trump ein wandelnder Widerspruch ist. Analog zur Schizophrenie als Basis des bürgerlichen Denkens, das eine vielleicht zu wollen, aber das andere zu tun, wächst Trump in eine Elite hinein, die er durchaus hasst und die ihn hasst, deren Regeln er aber genau kennt, zugleich befolgt und persifliert, um schließlich bei alledem vulgär genug zu bleiben, um »dem Volk« zu dienen: »Er macht die Schweinereien selbst.«

Daher kann es auch sein, dass der US-Präsident Donald Trump ohne aktives politisches Handeln die Unterminierung der repräsentativen Demokratie innerhalb der formaldemokratischen Apparate institutionalisiert. Auf diese Weise könnte er dazu beitragen, Rechtsstaatlichkeit und Humanismus unter kapitalistischer Ägide im Auge des Taifuns als Scheinwirklichkeiten des demokratischen Selbstverständnisses zu entlarven. Freilich würde dieser Effekt seine Dynamik kaum auf emanzipatorische Weise entfalten, denn nichts ist heikler und regressiver als die unorganisierte Aufstandsbewegung aus reiner Empörung gegen den »Verrat« des selbsternannten Volkstribuns. Die Gestalt Trump wirkt wie die grobe Karikatur eines Kapitalisten, vor dem nur eindringlich gewarnt werden kann, also als Anschauungsunterricht und Lektürebild aus der »Geschichte der KPdSU (B) – kurzer Lehrgang«, dem »Lehrbuch für Politische Ökonomie« oder den Lehrmaterialien für Staatsbürgerkunde Klasse 9 an polytechnischen Oberschulen der DDR. Es empfiehlt sich, das einmal Gelernte und Erkannte nicht zu vergessen, denn dort, wo dem alten Schlagwort »Wissen ist Macht« inzwischen die Kraft des Nichtwissens entgegensteht bzw. der Scheiterhaufen der Wissensvernichtung leuchtet, ist die aktive Erinnerung daran erforderlich, was wann aus welchem Grund schon einmal bekannt war.

Gegenwärtig wird wieder offenbar, wie recht die Linie Hegel–Marx–Lenin–Ulbricht damit hatte, als sie gegenüber dem peinlichen Geraune einer ratlosen Öffentlichkeit auf Weltgeist, Vernunftstaat und revolutionäre Kaderpolitik setzte. Da die US-amerikanische Tradition nur das selten angewandte Amtsenthebungsverfahren oder das Attentat als Verhinderungsmodus vorsieht, sollte man sich auf eine Trump-Ära einstellen. Letztlich ist Donald Trump die Quintessenz des zeitgemäßen bürgerlichen Bewusstseins, ohne Ziel und Plan die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus in die Praxis umzusetzen. Er bedeutet geistige Leere und volle Gefahr.

Bücher zum Thema:

·         Aaron James: Assholes. Zum Beispiel Donald Trump. Goldmann, München 2016, 128 Seiten, acht Euro.

·         Georg Seeßlen: Trump! Populismus als Politik. Bertz und Fischer, Berlin 2017, 144 Seiten, 7,90 Euro

Von Detlef Kannapin
aus „junge Welt“ vom 20.01.2017 / Feuilleton

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