Donnerstag, 22. Dezember 2016

Prognosen vergessen die Prekären

Foto: junge Welt
Gewerkschaftsinstitut und EU-Kommission verschleiern Lage auf dem Arbeitsmarkt

Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) erwartet auch im kommenden Jahr anhaltendes Wachstum und einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Nach einem Plus von 1,8 Prozent in diesem Jahr werde die Wirtschaft 2017 um 1,2 Prozent wachsen.

»Dieser Aufschwung ist ein echter Dauerläufer, und das unterstreicht den positiven Trend, der in den vergangenen Jahren begonnen hat«, teilte IMK-Direktor Gustav Horn am Dienstag in Düsseldorf mit. Damit trotze die deutsche Wirtschaft erheblichen Unsicherheiten wie dem »Brexit«, dem Präsidentenwechsel in den USA und der schleppenden wirtschaftlichen Erholung in den Schwellenländern. Getragen werde der Aufschwung von der Binnennachfrage. »Wenn unser Wirtschaftswachstum dagegen wie in den 2000er Jahren fast vollständig vom Export abhängen würde, wäre bei diesem weltwirtschaftlichen Umfeld längst Schluss mit dem Aufschwung«, betonte Horn.

Das verbessere auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter. Mit 6,1 Prozent liege die Arbeitslosenquote im Schnitt 2016 bereits auf dem niedrigsten Stand seit der deutschen »Vereinigung«, in den alten Bundesländern habe die Quote sogar zuletzt 1981 niedriger gelegen. Skeptischer betrachtet die wirtschaftliche Entwicklung der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Klaus Ernst: »Die Verteilung in Deutschland stimmt weiterhin hinten und vorne nicht«, sagte Ernst am Dienstag gegenüber jW. Es habe sich ein riesiger Nachholbedarf angesammelt. »Nach jahrzehntelangem Gürtel-enger-Schnallen besteht bei Löhnen und Gehältern trotz jüngster Zuwächse weiterhin Luft nach oben – insbesondere im Niedriglohnsektor.« Die öffentlichen Investitionen seien seit Jahren zu gering. »Die Bundesregierung fährt das Land auf Verschleiß und verspielt dabei die wirtschaftliche Zukunft.« Die Binnennachfrage müsse kräftig steigen, forderte Ernst.

Auch Brüssel pries die hohe Beschäftigung in der EU. Im vergangenen Jahr hätten in der Wirtschaftsgemeinschaft 232 Millionen Menschen einen Job gehabt, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht zu Arbeit und sozialer Entwicklung hervorgeht. Drei Millionen neue Stellen seien entstanden, die meisten davon dauerhaft. Mit einer kleinen Einschränkung: »Allerdings sind viele arbeitende Menschen immer noch arm, was belegt, dass es nicht nur um die Schaffung von Jobs geht, sondern um die Schaffung von guten Jobs«, sagte die zuständige Kommissarin Marianne Thyssen.

Von Jobwunder kann keine Rede sein. Die offizielle Arbeitslosenquote in der EU liegt immer noch bei 8,6 Prozent, bei Jugendlichen bei mehr als 20 Prozent. Rund 23,7 Prozent der Menschen waren laut offiziellen Zahlen von Armut bedroht. In den Krisenjahren 2008 bis 2013 sei es nur einem von acht Arbeitslosen gelungen, binnen drei Jahren eine dauerhafte Stelle zu finden, erklärte Thyssen weiter. »Für mich wird eine entscheidende Frage sein, wie wir faire Arbeitsbedingungen für alle in einer sich verändernden Arbeitswelt schaffen«, so die Kommissarin.

Von Jennifer Weichsler (mit dpa)
aus junge Welt vom 21.12.2016

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