Dienstag, 8. November 2016

Sandinisten schlagen Rechte

Foto: junge Welt
Nicaragua: Daniel Ortega gewinnt Präsidentenwahl mit ­haushoher Mehrheit. Kuba und Venezuela ­gratulieren, USA planen Sanktionen

In Nicaragua haben die Sandinisten den Vormarsch der Rechten in Lateinamerika vorerst gebremst. Nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen votierten bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag über 70 Prozent der Wähler für den sandinistischen Amtsinhaber Daniel Ortega. Zur Vizepräsidentin wurde die bisherige Regierungssprecherin und Ehefrau Ortegas, Rosario Murillo, gewählt. Auch bei den Parlamentswahlen landete die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) mit 72,1 Prozent Zustimmung an der Spitze. 

Die größte Oppositionskraft, die Liberale Konstitutionalistische Partei (PLC), erreichte lediglich 14,2 Prozent, die nächstfolgenden drei Parteien blieben mit jeweils unter fünf Prozent ebenfalls chancenlos. In dem mittelamerikanischen Land waren am Sonntag rund vier Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen worden. Wie der Vorsitzende des Obersten Wahlrats (CSE), Roberto Rivas, am Montag vormittag (Ortszeit) mitteilte, lag die Wahlbeteiligung bei 65,8 Prozent.

Bereits nach Bekanntgabe der ersten Zwischenergebnisse feierten Tausende Anhänger der Sandinisten ihren Erfolg mit Musik und Tänzen auf den Straßen der Hauptstadt Managua und in vielen anderen Orten des Landes.

Daniel Ortega
»Die Nicaraguaner haben für den Frieden, die Stabilität und die Sicherheit ihrer Familien gestimmt«, erklärte Ortega jetzt. Er bezeichnete die Abstimmung als »historisch« und hob hervor, dass sich die Nationalversammlung nach dieser Wahl zum ersten Mal zu jeweils 50 Prozent aus Männern und Frauen zusammensetze. »Das ist des Land des Patrioten und Freiheitskämpfers Augusto César Sandino würdig«, erklärte Ortega. Nach dem Sieg der sandinistischen Revolution über den US-hörigen Diktator Anastasio Somoza im Juli 1979 war Ortega bereits von 1985 bis 1990 und ist seit 2006 Präsident des nach Haiti zweitärmsten Landes der Region.

Unter der FSLN wurden Fortschritte im Aufbau des Bildungs- und Gesundheitswesen sowie bei der Armutsbekämpfung erreicht. In den vergangenen fünf Jahren verzeichnete das Land zudem Wachstumsraten um die fünf Prozent. Zu den ersten Gratulanten gehörte Kubas Präsident Raúl Castro. »Unser Amerika kann weiter auf euch zählen, um Gerechtigkeit und Wohlstand für unsere Völker und die so notwendige Integration Lateinamerikas und der Karibik zu erreichen«, beglückwünschte er die Wahlsieger. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro twitterte: »Es leben Bolívar und Sandino!« Er grüßte die »Brüder und Schwestern« in Nicaragua »mit (dem ehemaligen venezolanischen Präsidenten; jW) Chávez und einer Umarmung durch unser ganzes Volk«. Auch andere Staats- und Regierungschefs der Region gratulierten.

Nachdem Regierungsgegner mit einem Aufruf zum Wahlboykott gescheitert waren, forderten Teile der rechtskonservativen Opposition bereits vor Auszählung der Stimmen Neuwahlen. Westliche Medien verbreiten Erklärungen des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Luis Callejas und eines sich FAD nennenden »Oppositionsbündnisses«, nach denen diese das Resultat »wegen der niedrigen Wahlbeteiligung« nicht anerkennen wollen. Auch die US-Botschafterin in Managua, Laura Dogu, hatte bereits Tage vor der Wahl in einem Interview der Tageszeitung La Prensa die Legitimität der künftigen Regierung vorab in Frage gestellt. Vor gut einem Monat verabschiedete das US-Repräsentantenhaus einen Gesetzesentwurf über wirtschaftliche Sanktionen gegen Nicaragua. Mit diesem »Nicaragua Investment Conditionality Act« (NICA Act) kann Washington – sobald Senat und Präsident zugestimmt haben – künftig Kredite internationaler Finanzinstitutionen an Nicaragua blockieren. Beobachter sehen darin die Vorbereitung für einen »sanften Staatsstreich«.


Alle gegen Ortega
Medien zur Wahl in Nicaragua

Zwei Dinge waren bereits vor den Wahlen in Nicaragua sonnenklar: erstens der von allen Umfrageinstituten prognostizierte haushohe Sieg der Sandinisten und zweitens, dass weder die rechtskonservative Opposition noch Washington einen demokratischen Wahlerfolg linker Kräfte in Lateinamerika akzeptieren würden. Auch die Kumpanei bürgerlicher Medien mit den Wahlverlierern ist keine Überraschung. Während die Mehrheit der Bevölkerung des zweitärmsten Landes der Region den Ausgang der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mit Musik und Freudentänzen als ihren Triumph feiert, spannt die seit dem Putsch in Chile bekannte unheilige Allianz aus einheimischen Rechten, Strategen in Washington und antikommunistischen Medien wieder einmal die Büchse.

Das Szenario zur Ausschaltung einer unbequemen Regierung verläuft in Nicaragua nicht anders als in Chile und Honduras mit den offen brutalen oder in Paraguay und Brasilien mit den »sanften« Staatsstreichen. Neben Venezuela, Bolivien und Ecuador – von Kuba ganz zu schweigen – ist das sandinistische Nicaragua ein störender Stachel im Fleisch der wiedererstarkenden US-Hegemonie auf dem Doppelkontinent. Und die Mehrzahl der bundesdeutschen Medien erweist sich wieder einmal als zuverlässiger Verbündeter der Meinungs- und Medienkonzerne Lateinamerikas, die meist treu zu jeder faschistischen Militärdiktatur gestanden und zahlreiche Putsche durch ihre vorbereitenden Kampagnen erst ermöglicht hatten.

Der erste Schritt zum Regime-Change besteht erfahrungsgemäß darin, den Ausgang einer von Linken gewonnenen demokratischen Wahl zu delegitimieren. Dieser Aufgabe widmeten bundesdeutsche Medien sich bereits im Vorfeld. Die »Tagesschau« etwa vermischte am Wahltag Nachricht und Kommentar und berichtete, Ortega herrsche »autokratisch«, einstige Weggefährten sprächen »auch von Diktatur«. Für den eigenen Machterhalt, milderte Deutschlands einflussreichste Nachrichtensendung den Diktatur-Vorwurf ab, paktiere Ortega jedoch »notfalls auch mit dem Volk«. Auch der rechtskonservative Focus lamentierte von einer »autoritären Kleptokratie« in Nicaragua und behauptete: »Die Opposition wird gegängelt.« Die von manchen Lesern als »alternativ« eingestufte taz bot keinerlei andere Sichtweise. Das Blatt sekundierte dem Mainstream, indem es den ehemaligen Guerillaführer Ortega unter der Schlagzeile »Der Managua-Clan« mit einem »losgelassenen Tiger« verglich, der sich »noch immer gern« als Comandante ansprechen lasse, während die Opposition an einen »angebundenen Esel« erinnere.

19. Juli 1979 - Sieg der Revolution in Nicaragua
Ohne Kommentierung räumen dpa bis taz dagegen den – teilweise rechtsextremen – Oppositionellen breiten Raum ein, die die Wahl als »Farce« bezeichnen und deren Ergebnis wegen angeblich »zu geringer Beteiligung« anzweifeln. Bleibt abzuwarten, ob diese Medien nun die Legitimität der heutigen US-Präsidentschaftswahlen in Zweifel ziehen werden, bei denen nicht einmal im Ansatz mit einer Beteiligung von mehr als 65 Prozent wie in Nicaragua zu rechnen ist.


Von Volker Hermsdorf, aus jungeWelt vom 08.11.2016

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