Montag, 25. April 2016

Klare Kante gegen TTIP

Zehntausende demonstrierten in Hannover gegen ein neues Handelsabkommen. Trotzdem soll der Vertrag noch in diesem Jahr durchgepeitscht werden

Die Oberen von BRD und USA wollen das sogenannte Freihandelsabkommen TTIP auch gegen Widerstände aus der Bevölkerung durchsetzen. »Unsere Regierung will eine Lösung, und wir wollen es dieses Jahr hinkriegen«, ließ sich die US-Handelsministerin Penny Pritzker am Sonntag von Spiegel online zitieren. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verwies im Handelsblatt (Montagausgabe) auf das ähnlich gelagerte Abkommen CETA als »gutes Muster« für TTIP. An der konzertierten Aktion beteiligte sich auch US-Präsident Barack Obama. Er traf am Sonntag in Hannover ein, um eine Industriemesse zu eröffnen.

90.000 Menschen zeigten schon am Tag zuvor, dass diese Propaganda sie nicht beeindrucken kann. So viele nahmen – laut den Veranstaltern – am Samstag an einem Protestzug durch Hannover teil. Organisiert hatten den mehr als 20 Organisationen, darunter Gewerkschaften, Umweltverbände und Verbraucherschützer. »Merkel und Obama kommen: TTIP und CETA stoppen«, hieß es im Aufruf.

»Die Hannoveraner Messe ist die perfekte Bühne für die TTIP-Befürworter. Doch unser Protest stört sie«, sagte Hanni Gramann von ATTAC zu Beginn der Kundgebung. Mit dem Abkommen solle ein »Recht der Reichen« etabliert werden, das Konzernen Möglichkeiten in die Hand gibt, Staaten wegen missliebiger Regeln zu belangen. Etwa, wenn Umweltschutzstandards gestärkt oder Mindestlöhne erhöht würden. Dann könnten die Unternehmen klagen, gestritten werde lediglich darüber, ob dafür Handelsgerichte oder private Schiedsgerichte eingerichtet werden sollen. »TTIP machen wir nicht mit.«

Angeregte Diskussionen gab es auch unter den Demonstrationsteilnehmern. Schon um elf Uhr, zwei Stunden bevor sich der Demonstrationszug von dort in Bewegung setzte, hatte man sich auf dem Opernplatz kaum mehr bewegen können. Zu viele Menschen waren anwesend. Bauern agitierten hier gegen den »brutalen Preiskampf«, der drohte, würden die Handelsabkommen den Markt noch weiter deregulieren. Immer wieder tauchte auch die Forderung einer Volksabstimmung über TTIP und CETA auf. Beide Vertragswerke beruhten, wie es oft hieß, auf der der Ausschaltung von Bürgerbeteiligung und Transparenz.

Foto: jW/Hauke-Christian Dittrich/dpa
Entsprechend empfindlich reagierten viele auf unlautere »Annäherungsversuche«. Das durfte der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch erfahren. Er sprach vor dem Protestzug und verwies darauf, dass sich die SPD im September mit dem Freihandelsabkommen beschäftigen werden. »Man kann uns da vertrauen«, sagte er. Schließlich seien ja auch Sozialdemokraten unter den Protestierenden. Zu verstehen war Miersch danach kaum mehr – zu laut waren Buhrufe, Pfiffe und Gelächter.

Mit TTIP würden Regeln über Bord geworfen, um die die Arbeiterbewegung jahrzehntelang habe kämpfen müssen, sagte Andrea Kocsis. Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di kritisierte, dass mit dem Vertragswerk gerade Hedgefonds und Großbanken die Chance gegeben werde, in die Politik einzugreifen. »Nur sie dürfen dann entscheiden, wie wir in Europa zu leben und zu arbeiten haben.« Noch bevor etwa Änderungen an Arbeitsschutzrechten in die Parlamente gegeben werden könnten, müssten sie bei Annahme von TTIP den Konzernvertretern vorgelegt werden. Deshalb, so Kocsis, würden die DGB-Gewerkschaften sich gegen jedes Abkommen stellen, »das den Konzernen undemokratische Rechte gewährt«.

Von Johannes Supe
Aus junge Welt vom 25.04.2016

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